Rücktrittsschreiben als Stadtrat

Geschätzter Stadtratspräsident
Liebe Kolleginnen und Kollegen im Gemeinde- und Stadtrat
Lieber Christoph und Team

Erst möchte ich dir, lieber Roman, zur Wahl zum jüngsten Stadtratspräsidenten gratulieren. Dein kurzer Auftritt als Vertretung von Daniela in der Budgetdiskussion im letzten Jahr hat mir gezeigt, dass du diese Aufgabe mit Bravour meistern wirst. Ich wünsche dir viele spannende Augenblicke im 2021.

Vor rund drei Wochen ist ein Jahr vorbei gegangen, das wir alle wohl nie mehr vergessen werden. Es hat so einiges in unserem Leben über den Haufen geworfen und ist auch am Thuner Stadtrat nicht vorbei gegangen. Auch wenn wir hier im KKT einen würdigen Rahmen gefunden haben, ist es halt doch nicht dasselbe wie im altehrwürdigen Rathaus.

Ich möchte euch nicht mit meinem politischen Leben langweilen (auch weil ich dem Stadtratspräsident und im November dem Stadtpräsidenten noch etwas Munition für die Verabschiedung lassen will J). Für mich sind die 20 intensiven Jahre in der lokalen Politik nun genug. Vor einiger Zeit hat mich ein Kollege gefragt, was ich denn davon hätte, wenn ich die Freizeit mit Themen fülle, von denen mind. die Hälfte dann doch nicht erfolgreich sind. Für mich ist und war nie der schnelle und kleine Erfolg eines einzelnen Geschäftes oder Vorstosses das Ziel. Und wie einige Geschäfte gezeigt haben, höhlt der stete Tropfen den Stein (Rechenzentrum), auch wenn es letztlich dann nicht immer für ein richtiges Loch reicht (Verwaltungsgebäude). Als Mittepolitiker ist es dann auch schwierig einen grossen Erfolg zu verbuchen und Enttäuschungen sind oft nicht weit. Wenn mich jemand fragt, welches die wichtigste Kompetenz eines Stadtrates (oder eines Politikers allgemein) sei, dann verweise ich deshalb oft auf die Frustrationstoleranz. Trotzdem gibt es einem eine Befriedigung, wenn man mit der/den Mittefraktion/en an derselben Stadtratssitzung das Zünglein an der Waage für je ein Geschäft aus der Ökologie (zusammen mit dem linken Flügel) und der Ökonomie (zusammen mit dem rechten Flügel) zum Durchbruch verhelfen kann.

Mit dem Ratspräsidium der Legislative, habe ich natürlich einen Höhepunkt in der Karriere eines Politikers erfahren dürfen. Das Amt brachte mir viele tolle Begegnungen und spannende Stadtratssitzungen.

Aber das politisch Leben hört ja nicht beim Stadtrat auf. Mit dem Aufbau und der steten Weiterentwicklung einer neuen und hier in Thun kleinen Partei, gibt es auch viel Arbeit. Auch hier wechseln sich Erfolge wie eine stetig steigende Mandantenzahl mit tiefster Enttäuschung nach den letzten Wahlen ab. Aber am Ende bin ich doch stolz, dass die Wähler mit den Grünliberalen eine weitere Alternative haben. Und vielleicht ist es auch hier gut, wenn der «alte Besen» neuen Kräften Platz macht. Die wischen ja bekanntlich besser J.

Ab morgen fallen somit für mich rund 10 Stunden Sitzungen pro Monat weg. Was soll ich bloss mit dieser Zeit anfangen? Vorerst werde ich wohl das eine oder andere aus dem Familien- und Privatleben in diese Lücke einfüllen, das bisher hinten anstehen musste. Aber ich bin begeisterter „Freiwilligenarbeiter“ und da wird sich sicher das eine oder andere Projekt ergeben. Ich bin offen für vieles und Themen gäbe es in Thun ja genügend. Somit werde ich wohl nicht lange „chillen“ wie meine Jungmannschaft zu Hause sagen würde.

Nun wünsche ich euch allen, liebe Kolleginnen und Kollegen in allen Funktionen, weiterhin viele spannende Geschäfte, viel Durchhaltevermögen.

Ich verabschiede mich – natürlich – mit meinem 13. Zitat – mein letztes in diesem Rahmen, versprochen.

„Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade DU über den Fluss des Lebens schreiten musst, niemand, ausser dir alleine.“
Nietzsche

In diesem Sinne werde ich nun weiter an meiner Brücke arbeiten.

Herzliche Grüsse
Andreas Kübli